Was haben die Stadien von Katar mit Nachhaltigkeit zu tun?
Passend zur im Moment laufenden Fußballweltmeisterschaft widmen wir uns hier einer besonderen Gattung der Ingenieurbaukunst: Sportstadien. Sie sind sowohl stark kritisierte als auch stark gefeierte Bauwerke unserer Zeit. Ihre Ästhetik drückt sich durch ingenieurtechnische Meisterwerke wie das Seilnetzdach des Münchner Olympiastadions oder das Speichenraddach des Maracana in Rio de Janeiro prächtig aus. Die Begeisterung für solche Strukturen haben uns als junge Menschen dazu bewogen, das Studium des Bauingenieurwesens zu wählen.
Das Land Katar wirbt bei der WM mit einem sustainable FIFA World Cup 2022 – bezieht sich dieser Slogan auch auf die Stadien? Sportstadien werden primär aus Stahl und Beton gebaut (Beispiel Allianz-Arena: 27.000 t Stahl, 120.000 m³ Beton bei 70.000 Sitzplätzen) und damit aus Materialien mit einem hohen GWP (Treibhauspotenzial). Beim Stadionbau in Katar haben wir uns zwei Stadien genauer angeschaut: das Education City Stadium und das Ras-Abu Aboud Stadium. Nachhaltiger Stadionbau wird hier unterschiedlich beworben.
Der Rohbau des Education City Stadium soll v. a. dadurch CO2-Emissionen einsparen, dass nicht mit herkömmlichem Beton, sondern mit einem cyclopean concrete (CYC) gearbeitet wird. Was ist CYC? Das ist ein Beton, bei dem neben den üblichen Ausgangsstoffen (Gesteinskörnung, Zement, Wasser) auch noch größere Steinbrocken und Flugasche verwendet werden. Es liegt auf der Hand, dass diese Methode nur bei Massenbetonbauteilen funktionieren kann (z. B. bei Fundamenten). Laut einer Veröffentlichung der Qatar University wurde die verwendete Betonmenge von 18.000 m³ auf 13.637 m³ gesenkt. Zusätzlich wurde wohl auch noch Baustahl eingespart.
Das Bauwerk wurde vom Global Sustainability Assessment System (GSAS) 2019 mit 5 Sternen bewertet. Es ist das erste Stadion, dem diese Ehre zugesprochen wurde. Dieses Projekt bietet damit Futter für die Kritiker solcher Gütesiegel.
Das Ras-Abu Aboud Stadium dagegen setzt in Sachen Nachhaltigkeit auf eine temporäre Struktur. Das Stadion ist komplett modular geplant und soll im Anschluss an die WM zurückgebaut werden – sinnvoll bei solchen Events an Orten ohne nachhaltige Fußball- oder Sportkultur. Die einzelnen Bauteile können nicht nur für Stadien, sondern auch für andere Bauwerke wiederverwendet werden und sind somit für eine weitere Nutzung offen. Dies gilt jedoch nicht für die Fundamente. Und auch hier kann nur die Zeit zeigen, wie sinnvoll dieser Ansatz ist, denn ein mobiles Stadion benötigt zunächst mehr Material als ein dauerhaftes.
Sicherlich sind dies zwei super interessante Ansätze, den CO2-Impact von Stadien zu reduzieren, und somit sind diese beiden Projekte höchstwahrscheinlich nachhaltiger als die Stadien in Manaus, Brasilien oder Cape Town, Südafrika. Grundsätzlich bleibt der Bau von klimatisierten Stadien in der Wüste alles andere als nachhaltig. Also: Handelt es sich bei diesen Ansätzen um Greenwashing? Oder sollen sie von den erschreckenden Menschenrechtsbedingungen in Katar ablenken?
Kommen wir damit zum Elefanten im Raum, wenn es um die Frage nach der Nachhaltigkeit der Stadien in Katar geht. Deren Bau nämlich beschreibt das abstoßende Gegenteil von dem, was wir unter sozialer Nachhaltigkeit verstehen:
Amnesty International spricht von ca. 15.000 toten Arbeitern seit der Vergabe der WM im Jahr 2010 (12 Jahre, ca. 1250 Tote/Jahr, knapp 3 Mio. Einwohner). Diese Zahlen enthalten nicht nur die Toten auf Stadionbaustellen, sondern aller Baustellen des Landes, und doch dürfen diese Zahlen in keinem Artikel über dieses Event fehlen! Zum Vergleich: Auf deutschen Baustellen sind zwischen 2014 und 2020 583 Menschen gestorben (7 Jahre, ca. 80 Tote/Jahr, knapp 84 Mio. Einwohner).
Die Kritik an der Weltmeisterschaft 2022 ist auf so vielen Ebenen angebracht. Von den ökologischen Auswirkungen, die aus dem Neubau der für maximal zehn Spiele genutzten Stadien entstehen, über die humanitäre Notlage auf den Baustellen bis hin zur gesellschaftlichen Situation in Katar (so müssen z. B. Menschen der LGBTQ+ Community um ihre eigene Sicherheit im Austragungsland fürchten) …
Katar nutzt diese WM, um sich selbst zu präsentieren. Wir Planer:innen können dies nicht verhindern. Ohne Stadien gibt es aber auch keine WM und die Stadien werden von Menschen wie uns geplant und gebaut. Sind wir damit Mittäter:innen? Vielleicht. Doch wir müssen uns nicht in dieses ethische Dilemma bringen. Wir als junge und alte Planer:innen können Haltung bewahren und Nein sagen zur Bearbeitung solcher Projekte. Dann gilt zwar der Satz „Wenn ich es nicht mache, dann macht es jemand anderes“, aber dann lasst es doch die anderen machen – haben wir nicht genug Aufgaben als Bauschaffende, für die wir unseren Grips lieber einsetzen sollten? Denn das Bauwesen muss transformiert werden, also lasst uns die wirklichen Probleme angehen!
Stuttgarter Nachhaltigkeitsstammtisch
Termin: jeder letzte Dienstag im Monat, 18.00 Uhr
Ort: online, Präsenzveranstaltung in Stuttgart
am Dienstag, 31. Januar 2023
Kontakt: j.erichsen@sbp.de; j.nowak@knippershelbig.com
Anmeldung zum Mailverteiler:
sustainability@knippershelbig.com