Gibt es eine Zukunft mit Beton?
Gibt es eine Zukunft mit Beton? Diese Frage haben wir uns vor einiger Zeit beim Stuttgarter Nachhaltigkeitsstammtisch gestellt.
Wir alle wissen, dass das Bauwesen im Allgemeinen und der Beton im Speziellen für einen riesigen Anteil des weltweiten CO2-Ausstoßes, Ressourcenverbrauchs, Abfallaufkommens und Energieverbrauchs verantwortlich ist. Wir wissen aber gleichzeitig, dass es für einige Arten von Bauwerken – oder zumindest einzelne Bauteile – (noch) keine wettbewerbsfähige Alternative zu Beton gibt. Fundamente aus Holz? Ein Tunnel aus Stahl? Ein Hochhaus aus Lehm? Das alles ist aus guten Gründen heute schwer vorstellbar. Zudem hat Beton viele positive Eigenschaften, wie etwa seine Feuerbeständigkeit oder sein Schalldämmvermögen.
Wenn wir auf Beton nicht verzichten können, wie können wir ihn dann wenigstens nachhaltiger machen?
Der Großteil der CO2-Emissionen in der Zementindustrie fällt bei der Herstellung des Klinkers an, der reaktiver Hauptbestandteil im Zement ist. Davon entfallen etwa ein Drittel auf die Energiebereitstellung und zwei Drittel auf die chemische Entsäuerung im Brennofen. Das bedeutet, dass selbst bei einer vollständigen Umstellung der Zementbranche auf grüne Energie zwei Drittel der aktuellen Emissionen unverändert bleiben würden. Dieser verbleibende Anteil lässt sich bereits mit heutigen Mitteln wie z. B. CO2-armen Zementen, zementreduzierten Betonen und materialeffizientem Entwurf geschätzt um 30–50 % reduzieren. Um CO2-neutral zu werden, setzt die Branche v. a. auf die Zukunftstechnologie CCS (Carbon Capture and Storage), wobei noch unklar ist, wer die immensen Investitionen hierfür tragen wird, wann sie verfügbar sein wird und ob sie am Ende hält, was sich viele von ihr versprechen.
Ohnehin sollten wir uns öfter die Frage stellen, ob Beton wirklich immer das richtige Material ist. Lehm eignet sich zwar nicht für Hochhäuser, mit seinen bauphysikalischen Eigenschaften aber ausgezeichnet für nicht bis niedrig belastete Wände. Auch Holz kann viele Aufgaben im Tragwerk hervorragend erfüllen und ist deutlich leichter als Beton. Daneben existiert eine große Gruppe von nachwachsenden Rohstoffen wie Bambus, Myzelium, Stroh u. v. m., deren Potenzial im Hinblick auf ein umweltverträgliches Bauen dringend ergründet und in die Praxis getragen werden muss.
Was bleibt also als Antwort auf die Eingangsfrage: Gibt es eine Zukunft mit Beton? Fest steht, dass ein „Weiter so wie bisher“ keine zukunftsfähige Lösung darstellt. Wenn wir weiterhin auf und mit Beton bauen möchten, dann brauchen wir andere, neue, bessere Betone und müssen den Baustoff verantwortungsvoller einsetzen.
Eine ernst zu nehmende Auseinandersetzung mit dem Thema findet in der Branche durchaus statt, wie z. B. in der Roadmap Nachhaltig bauen mit Beton des Deutschen Ausschusses für Stahlbeton (DAfStb). Die Roadmap im Allgemeinen und auch viele der darin geplanten Meilensteine im Speziellen finden bei den Mitgliedern des Nachhaltigkeitsstammtischs Zuspruch. Die Inhalte der im Rahmen der Roadmap im Oktober 2021 veröffentlichten Planungshilfe jedoch führen teilweise zu Unverständnis und müssen unbedingt kritisch hinterfragt werden. Die dort gestellten Forderungen nach stützenfreien Grundrissen mit Spannweiten bis 20 m und zusätzlichen Lastreserven für Nutzungsänderungen mögen bei bestehendem Nachnutzungskonzept eine sinnvolle Option sein. Sie konterkarieren aber gleichzeitig die Grundsätze materialeffizienten Bauens und dürfen somit in keinem Fall als Patentrezept verstanden werden. Auch das Fazit der Planungshilfe, das Bauen mit Beton habe „überwiegend positive Auswirkungen auf die Nachhaltigkeit von Gebäuden“, ist nur schwer nachzuvollziehen und steht der dringend nötigen Auseinandersetzung mit dem Baustoff im Weg.
Wir sind alle aufgerufen, solche Denkabkürzungen zu vermeiden und uns mit den Umweltauswirkungen unserer Projekte differenziert auseinanderzusetzen. Hier sind Hochschulen, Berufsverbände, Baustoffproduzenten und alle am Bau Beteiligten gefragt, auch wir Planer:innen selbst. Haben Sie schon einmal den CO2-Fußabdruck Ihres Projekts berechnet oder CO2-effiziente Materialien recherchiert und eingesetzt? Noch nicht? Dann lassen Sie uns alle zusammen noch heute damit beginnen.
Stuttgarter Nachhaltigkeitsstammtisch
Termin: jeder letzte Dienstag im Monat, 18.00 Uhr
Ort: online, Präsenzveranstaltungen in Stuttgart (in Planung)
Kontakt: j.erichsen@sbp.de; j.nowak@knippershelbig.com