Kommunen, Planer und Bauherren – sie alle werden mit Forderungen nach einer umfassenden Reduktion klimaschädlicher Emissionen und des Ressourcenverbrauchs konfrontiert. Wie dies in kurzer Zeit gelingen kann, ohne dass hierdurch das Bauen unbezahlbar teuer wird, ist die große Frage, der sich alle Beteiligten stellen müssen. Im Folgenden soll schlaglichtartig beleuchtet werden, wie (und in welchen Projektphasen) sich schon heute mit überschaubarem Aufwand wesentliche Einsparungen erreichen lassen.
1 Die Herausforderung: eine radikale Reduzierung der klimaschädlichen Emissionen bis 2030
Mit der Novelle des Klimaschutzgesetzes im Juni 2021 hat der deutsche Gesetzgeber konkrete Vorgaben für den Klimaschutz gemacht: Gegenüber dem Referenzjahr 1990 sind die klimaschädlichen Emissionen bis 2030 um 65 % zu reduzieren. Bis 2045 soll Deutschland treibhausgasneutral werden. Für den Sektor Gebäude bedeutet dies, dass in den kommenden acht Jahren die Emissionen um 43 % gegenüber den im Jahr 2020 getätigten Emissionen verringert werden müssen [1].
Die gesellschaftspolitischen Vorgaben sind somit eindeutig. Die gesetzten Ziele sind extrem ehrgeizig und sicher nur mit großen Anstrengungen zu erreichen. Was aber bedeuten sie konkret für Bauherren, Architekten und Fachplaner? Der Energieverbrauch von Gebäuden während des Betriebs (und damit indirekt und in Teilbereichen auch der Ausstoß von operativen Emissionen) wird durch das Gebäudeenergiegesetz reguliert. Durch Förderprogramme wie das KfW-Programm werden weitere Anreize gesetzt. Die Emissionsreduzierung wird hierdurch aber nur indirekt adressiert.
Als Steuerungsinstrumente zur Reduktion der Emissionen aus dem Bauwesen gibt es derzeit v. a. den europäischen und nationalen Emissionshandel – bislang zwar mit noch begrenzter, aber dennoch stetig wachsender Steuerungswirkung. Es ist davon auszugehen, dass durch die Politik in naher Zukunft weitere, wesentlich wirksamere Steuerungsmittel entwickelt werden. Auch die ESG-Kriterien, an die zumindest institutionelle Investoren gebunden sind, sind derzeit noch weich. Momentan sind diese Kriterien leicht zu erfüllen. Aber auch hier ist mit einer deutlichen Verschärfung zu rechnen.
Im Weiteren hat die Bundesregierung für das Bauwesen Maßnahmen zum Ressourcenschutz angekündigt, z. B. den Gebäuderessourcenpass sowie ein Gesetz zur Kreislaufwirtschaft im Bauwesen.
Nachhaltigkeit ist vielschichtig, und die Reduktion auf Einzelaspekte ist im Sinne einer ganzheitlichen Planung unzulässig. Dennoch ist unstrittig, dass angesichts des Klimawandels und der Ressourcenknappheit die Emissionsminderung und die Ressourceneffizienz eine besonders wichtige Rolle spielen. Mehr als 50 % der Emissionen, die ein Gebäude über seinen Lebenszyklus verursacht, sind sog. graue Emissionen [2]. Dies sind Emissionen, die infolge der Produktion der Materialien und des Gebäudes selbst sowie infolge von dessen Instandhaltung und Rückbau anfallen. Hierdurch rückt auch die Materialität des Gebäudes zunehmend stärker in den Vordergrund [3].
Im Folgenden soll aufgezeigt werden, wie eine Minimierung der Emissionen und des Ressourcenverbrauchs in den einzelnen Projektphasen gelingen kann und welche neuen Methoden hierfür benötigt werden.
2 Die wichtigste Weichenstellung: Phase 0
Da eine Neubaumaßnahme oder Bestandstransformation zwangsläufig zu Emissionen und Ressourcenverbrauch führt, ist zuerst die Frage nach der Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit des Projekts zu stellen. Dies muss einhergehen mit einer ausführlichen Standortanalyse, bei der Faktoren wie Leerstand, Mobilität und Nutzerzufriedenheit berücksichtigt werden. Umwelt- und Sozialstudien können hier helfen, die langfristige Notwendigkeit des Bauvorhabens und die Eignung des Standorts zu plausibilisieren. Dabei muss auch betrachtet werden, welche Maßnahmen als Folge des Projekts in der Umgebung erforderlich werden. Im urbanen Raum können i. d. R. bestehende Anschlüsse und Infrastrukturen weitergenutzt werden, außerhalb urbaner Gebiete ist diese Infrastruktur oft zusätzlich zu erstellen [4].
Ist die Sinnhaftigkeit der Projektrealisierung nachgewiesen, muss intensiv geprüft werden, ob eine bereits am Standort bestehende Gebäudesubstanz für eine Wiederverwendung durch Transformation infrage kommt. Das Beispiel des ehemaligen Quelle-Areals in Nürnberg (Bild 1) zeigt, wie viele Ressourcen und Emissionen durch die Transformation eines Bestandsgebäudes eingespart werden können (im vorliegenden Fall mehr als 33.000 t an CO2-Äquivalenten!). Wenn statt eines Neubaus ein Bestandsgebäude transformiert wird, werden die grauen Emissionen typischerweise um mindestens 40 % reduziert. Die direkte Wiederverwendung einer bestehenden Bausubstanz ist somit in den meisten Fällen der größte Beitrag, den ein Projekt hinsichtlich seiner Nachhaltigkeit leisten kann.
Wenn eine unmittelbare Wiederverwendung von bestehender Bausubstanz nicht möglich ist, kann und sollte zumindest geprüft werden, ob andere Bauteile und Materialien vor Ort rückgebaut und wiederverwendet werden können. Die Experimentaleinheit UMAR (Urban Mining and Recycling) im Schweizer Forschungscampus NEST zeigt, wie es gelingen kann, ein Bauwerk mit rezyklierten Materialen aus biologischen oder technischen Kreisläufen „neu“ zu errichten (Bilder 2, 3). Junge Unternehmen wie Concular oder RotorDC arbeiten daran, die bislang fehlenden Schnittstellen zwischen (potenziellem) Materialangebot und konkreter Projektanwendung zu schließen.
In der Projektierungsphase müssen auch andere grundlegende Fragestellungen geklärt werden, die einen großen Einfluss auf die ökologische und ökonomische Performance des Gebäudes haben. Welche sind die Nachhaltigkeitsziele, die der Bauherr generell verfolgt? Und was steht beim konkret betrachteten Projekt im Vordergrund? Soll ein spezieller Bauansatz verfolgt werden, also z. B. ein Lowtech-Ansatz nach dem Prinzip des Einfachen Bauens von Florian Nagler? Oder ist das Ziel eher ein High-Eco-Tech nach Werner Sobek, bei dem Nachhaltigkeitsziele über besonders innovative Technologien erreicht werden? In welcher Bauweise soll das Gebäude errichtet werden? Ist aufgrund der Nutzungsvorgabe und Gebäudegröße ein Holzbau richtig und sinnvoll? Welche Transportwege fallen für welche Materialien an? Gibt es nachhaltige Baustoffe, die in der Region besonders gut verfügbar sind, bspw. Lehm? Die Antwort auf viele dieser Fragestellungen hängt von der Innovationsbereitschaft des Bauherren und dessen übergeordneten Zielen ab. Umso wichtiger ist eine intensive Auseinandersetzung der Planer und des Bauherren mit diesen Fragestellungen. Die DGNB (Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen) hat daher auch mit ihrem Programm zur Phase Nachhaltigkeit einen Ansatz aufgesetzt, wie Bauherren und Planer frühzeitig in einen leistungsorientierten Diskurs über diese Fragestellungen einsteigen können.
Zu der Gesamtanalyse gehört auch die Untersuchung der Frage, welche Fördermittel für den Bau genutzt werden können. Neben den bekannten Förderprojekten für energieeffiziente Gebäude können oft auch zusätzliche Förderprogramme für besonders innovative Bauweisen genutzt werden.
Auf dieser Basis können Bauherren ihre Nachhaltigkeitsziele für das Projekt in einem Nachhaltigkeitsstatement festlegen. Die Ergebnisse dieser Festlegung sollten unbedingt verschriftlicht und mit den anderen Projektbeteiligten abgestimmt bzw. diesen zur Verfügung gestellt werden. Neben einer für den weiteren Projektverlauf sehr hilfreichen Zielvorgabe entsteht gleichzeitig ein Dokument, das auch bei ESG-Finanzierungen, Fördermittelanträgen und Genehmigungsverfahren genutzt werden kann.
3 Konzeptvergaben und Vorbereitung von Architekturwettbewerben
Viele Städte und Gemeinden haben erkannt, dass sie selbst zu den relevantesten Akteuren der Bauwirtschaft gehören und dass gerade über die Veräußerung von eigenen Grundstücken erheblicher Einfluss ausgeübt werden kann. Bei den sog. Konzeptvergaben an private Investoren vereinbaren die veräußernden Städte und Gemeinden neben dem Kaufpreis für die Realisierung bindende Nachhaltigkeitsziele. Dies können maximale CO2-Emissionen für Bau und Betrieb, aber auch Festlegungen zur Bauweise und zum Energiekonzept sein. Eine solche Vergabemethode erfordert aber auf beiden Seiten, d. h. bei den Kommunen und bei den Investoren, eine intensive Auseinandersetzung mit dem Projekt bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt. Diese frühzeitige Befassung mit vielen Detailfragen geht mit einem entsprechenden Arbeitseinsatz einher, für den von allen Beteiligten entsprechende Ressourcen eingeplant werden müssen.
Wie dies besonders gut gelingen kann, zeigt das Beispiel der Hansestadt Hamburg. Diese hat für die Entwicklung der HafenCity 1997 eine Tochterfirma namens HafenCity Hamburg GmbH gegründet. Diese übernimmt die Managementaufgaben bei der Grundstücksvergabe, bei der in der HafenCity mittlerweile eben und v. a. auch die Sicherstellung der von der Kommune vorgegebenen Nachhaltigkeitsziele inkludiert ist. Dieses Vorgehen ist für größere Entwicklungsgebiete, wie sie auch in anderen Städten anstehen, besonders interessant und empfehlenswert. Beispielhaft sei hier das Rosensteinquartier in Stuttgart genannt.
Auch bei der Vorbereitung von Architekturwettbewerben muss im Auslobungstext auf eine konkrete Benennung von realistischen Vorgaben zu Nachhaltigkeitszielen geachtet werden. Diese Nachhaltigkeitsziele können i. d. R. bereits aus der Standortanalyse generiert werden. Wenn diese Vorgaben generalisiert erfolgen, schränkt das die Kreativität der beteiligten Architekturbüros in keiner Weise ein, sondern führt zu mehr Klarheit und damit einer höheren Qualität der Wettbewerbsergebnisse.
4 Vor- und Entwurfsplanung
Spätestens in der Vorplanung werden die planerischen Weichen für die Nachhaltigkeit eines Projekts gestellt. In Bezug auf die Emissionsminimierung bedeutet dies, dass von Anfang an die über den Lebenszyklus zu erwartenden CO2-Emissionen nachzuverfolgen sind. Diese Nachverfolgung kann und sollte mehr sein als eine dokumentierende Bilanzierung durch z. B. einen Auditor. Sie sollte vielmehr eine schnelle und wirksame Hilfestellung im Entwurfsprozess darstellen.
Wird das Projekt ohnehin mit der BIM-Methode geplant, sind Bilanzierung und BIM-Modell miteinander zu verknüpfen. Die Bilanzierung sollte dabei zwischen grauen und operativen Emissionen differenzieren und alle Bauteilgruppen nach DIN 276 erfassen. Für einzelne Bereiche können so auch basierend auf Erfahrungswerten sehr gut Benchmark-Budgets definiert werden. Wenn Benchmarks verwendet werden, ist bei diesen sicherzustellen, dass die Bilanzierungsmethode zwischen Benchmark und beplantem Projekt gleich gewählt wurde. Gängigste Methode ist das vereinfachte Rechenverfahren der DGNB. Es gibt aber berechtigte Gründe, diese im Einzelfall zu verlassen und deutlich feiner zu bilanzieren, z. B. bei der Berücksichtigung von Transportwegen oder der grauen Emissionen der gebäudetechnischen Ausrüstung.
Die Optimierung der Emissionen liegt nicht allein im Verantwortungsbereich der Architekten und Nachhaltigkeitsberater, sondern ist auch und v. a. Aufgabe der Fachplaner. So verursacht allein das Tragwerk mehr als ein Drittel der klimaschädlichen Emissionen eines Gebäudes über seinen Lebenszyklus hinweg. Der Material- und Emissionsoptimierung des Tragwerks kommt daher bei der Nachhaltigkeitsbetrachtung eine Schlüsselrolle zu – eine Rolle, auf die bislang die wenigsten Planer vorbereitet sind. Bisher wurden an Tragwerksplaner lediglich Optimierungsaufgaben hinsichtlich der Baukosten gestellt. Dieses Aufgabengebiet wird nun um die Optimierung der Emissionen erweitert. Da die beste Strategie zur Emissionsvermeidung die Bauteiloptimierung ist, gehen Kosteneinsparung und Emissionsminderung in vielen Fällen zwar Hand in Hand – dies ist aber keineswegs ein Automatismus. So ist die bei vielen Gebäuden standardmäßig ausgeführte Stahlbetonflachdecke aufgrund des geringen Arbeitsaufwands bei der Erstellung zwar kostengünstig, verbraucht aber im Vergleich zu anderen Optionen deutlich mehr Material – und ist damit ein wesentlicher Emissionstreiber.
Die Optimierung der operativen Emissionen steht schon seit Langem im Fokus aller Planungsbeteiligten, nicht zuletzt aufgrund der entsprechenden Gesetzgebung und Fördermittelvergabe. Dennoch gibt es auch hier noch Optimierungspotenzial, was die Nachhaltigkeitsbetrachtung angeht. Bei der Erfassung der betrieblichen Emissionen ist es zielführend, nicht nur die Energieversorgung bei Fertigstellung des Gebäudes zu berücksichtigen, sondern auch eine dynamische Anpassung über den Lebenszyklus ins Auge zu fassen. So ist es möglich, dass z. B. die Fernwärmeversorgung am Standort zum Zeitpunkt der Fertigstellung des Gebäudes noch einen durchschnittlichen Primärenergiefaktor aufweist, sich dieser aber bereits wenige Jahre nach Fertigstellung entscheidend verbessert. Sind solche Veränderungen bereits absehbar, sollten sie auch in der Nachhaltigkeitsplanung Berücksichtigung finden.
Fester Bestandteil der Gebäudeplanung sollten zudem die Planung des späteren Rückbaus und ein Konzept zur Wiederverwendung der eingesetzten Bauteile sein. Unsere Gebäude sind die Materialminen der Zukunft und müssen als solche geplant und ausgeführt werden. Aktuelle Abbruchprojekte können bereits heute als Mine für Neubauten dienen und Primärrohstoffe ersetzen. Eine entsprechende Dokumentation und die Digitalisierung des Planungsprozesses in allen Phasen sind dabei unerlässliche Parameter und sollten frühzeitig im Gebäuderessourcenpass festgeschrieben werden. Idealerweise wird dabei nicht nur aufgezeigt, wie später eine sortenreine Trennung der Materialien möglich ist, sondern auch, wie eine vollständige Wiederverwendung von Bauteilen wie Deckenplatten oder Innenwänden erfolgen kann.
5 Ausführungsplanung und Ausschreibung
Wenn das Projekt in den frühen Projektphasen auf die richtige Spur gesetzt wurde, beginnt in der Ausschreibung und Ausführungsplanung die Fleißarbeit, um die prognostizierten Ziele auch tatsächlich realisieren zu können. Da verstärkt lokale Materialien genutzt werden sollen, erfordert dies gute Kenntnisse von Materialverfügbarkeiten und Lieferbedingungen. Diese können in einem projektspezifischen Material-Mapping dokumentiert werden.
Die maximale Minimierung der Emissionen erfordert oft eine wesentlich detailliertere Einzelbetrachtung von Bauteilen. Bislang wurde z. B. bei der Festlegung der Betonrezepturen oft ein One-size-fits-all-Ansatz verfolgt (galt also eine größtmögliche Homogenisierung der Betonrezepturen auf einer Baustelle als vorteilhaft). Mittlerweile ist erkannt, dass eine wesentlich differenziertere Festlegung unter Berücksichtigung der Klinkeranteile im jeweiligen Zement oder der Betonfestigkeitsklasse für unterschiedliche Bauteile zu einer erheblichen Reduktion des CO2-Fußabdrucks führt. Auch wenn sich der planerische Aufwand dadurch leicht erhöht, bietet sich doch gerade bei solchen Betrachtungen ein großes Potenzial zur Emissionseinsparung.
Die Phase von Ausführungsplanung und Ausschreibung bietet erneut (aber letztmalig im Projektverlauf) die Chance, die Nachhaltigkeitsqualität eines Gebäudes durch den Einsatz von rezyklierten Baumaterialien zu optimieren. Deshalb ist von den beteiligten Planern zu prüfen: Gibt es in der Umgebung neue Abbruchbaustellen, die Material für den Roh- oder Ausbau zur Wiederverwendung oder -verwertung zur Verfügung stellen können?
In keiner anderen Industrie ist die Trennung zwischen Planung und Ausführung so groß wie in der Bauindustrie. Deshalb ist es besonders wichtig, im Weiteren darauf zu achten, dass die Festlegungen zur Emissionseinsparung über die Ausschreibung zum Projekt tatsächlich auch Vertragsbestandteil für die ausführenden Firmen werden. Dies ist nicht trivial, will man doch gerade den ausführenden Firmen Spielraum für ihre eigene Materialbeschaffung lassen, um so wirtschaftliche Angebote zu erhalten. Aber auch hier hilft eine gute Dokumentation und Vorarbeit.
So wie sich andere Materialeigenschaften definieren und später auch überprüfen lassen, gilt dies auch für den CO2-Fußabdruck der ausgeschriebenen Positionen. Da sich die Planer bei der oben beschriebenen Vorgehensweise bereits intensiv mit der Materialbeschaffung auseinandergesetzt haben, stellen sich zudem viele Probleme wie mangelnde Verfügbarkeit nicht mehr ein. Zudem steht durch den Planungsprozess ein sehr gut aufbereitetes Materialmodell in Form eines Gebäuderessourcenpasses, idealerweise verknüpft mit dem BIM-Modell, zur Verfügung. Ebenfalls sollten die Nachhaltigkeitsanforderungen für die Bauausführung selbst Teil der Ausschreibung sein.
6 Die Rolle der Baustoffe
Mit der oben beschriebenen Methode der Auswahl geeigneter (und tatsächlich verfügbarer) Materialien und deren sinnvoller, materialgerechter Verwendung im Gebäude können Planer und Bauherren bereits heute die Emissionen eines Neubaus erheblich reduzieren. Bei einem Massivbaugebäude können so bis zu 30 % der grauen Emissionen eingespart werden – wird das Gebäude als Holzbau ausgeführt, noch mehr. Die operativen Emissionen bei einem Neubau können durch die Nutzung von nachhaltig erzeugter Energie schon jetzt faktisch auf null reduziert werden; bei der Umrüstung von Bestandsgebäuden ist dies prinzipiell ebenso möglich, wenn es auch an der einen oder anderen Stelle mit größerem Aufwand verbunden sein mag.
Trotz der oben beschriebenen Möglichkeiten und Perspektiven zur Reduzierung der Emissionen und des Ressourcenverbrauchs – für einen umfassenden Start in eine klimagerechte Baupraxis braucht es noch wesentlich umfangreichere Änderungen. Die geschilderten Einsparungen für sich reichen nicht aus, um die von der Bundesregierung vorgegebenen Einsparziele zu erreichen. Dies wird nur gelingen, wenn auch die Baustoffindustrie ihre Produktionsprozesse umstellt. Erste Produkte wie ein klimareduzierter Stahl (Beispiel XCarb) machen Mut, denn: Trotz der hohen Recyclingquote ist auch im Stahlbau eine Umstellung auf eine wasserstoffbasierte Produktion zwingend erforderlich.
Im Bereich des Betonbaus können durch die Entwicklung neuer Betonrezepturen wie CEM IV (mit nur noch 20 % Klinkeranteil), die Wiederverwertung von gemahlenem Beton in der Zementrezeptur und neue Bauweisen wie Carbonbeton oder Gradientenbeton erhebliche Emissionseinsparungen erzielt werden. Kurz- und mittelfristig wird hier eine volle Klimaneutralität aber nur über das Mittel der Kompensation gelingen. Dennoch bleibt Beton aufgrund seiner großen Verfügbarkeit, seiner guten Verarbeitbarkeit und seiner Materialqualitäten auf lange Sicht sicher noch eines der wichtigsten Baumaterialien.
Da Holz während des Wachstumsprozesses Kohlenstoff speichert, ist es derzeit noch das effektivste Baumaterial zur Minderung der Emissionen von Treibhausgasen eines Projekts, insbesondere wenn das verwendete Holz aus nachhaltig bewirtschafteter Forstwirtschaft aus der näheren Umgebung stammt (Bild 4). Als alleiniger Heilsbringer kann es aber allein schon aufgrund seiner beschränkten Verfügbarkeit nicht genügen. Eine tiefgreifende Transformation der Baustoffproduktion ist deshalb zwingend erforderlich.
7 Ausblick
Durch entsprechende Vorgaben der Kommunen und Abstimmungen zwischen Bauherren und Planern ebenso wie durch eine für Nachhaltigkeitsfragen sensibilisierte Projektentwicklung lassen sich bereits heute substanzielle Einsparungen der Emissionen und des Ressourcenverbrauchs eines Projekts erreichen. Entscheidend für ein tatsächliches Erreichen der von der Bundesregierung vorgegebenen Einsparziele ist darüber hinaus aber eine Anpassung der Produktionsprozesse bei den Baumaterialien Stahl und Beton ebenso wie ein angemessener Einsatz der Ressource Holz.
Literatur
- Bechmann, R.; Weidner, S. (2022) Emissionen und Ressourceneffizienz – welche Rolle spielen die Planenden? Special 2022 Nachhaltiges Bauen, S. 57–59.
- Sobek, W. (2022) non nobis – über das Bauen in der Zukunft. Band 1: Ausgehen muss man von dem, was ist. Stuttgart: av edition.
- Weidner, S.; Mrzigod, A.; Bechmann, R.; Sobek, W. (2021) Graue Emissionen im Bauwesen – Bestandsaufnahme und Optimierungsstrategien. Beton- und Stahlbetonbau 116, H. 12, S. 969–977. doi.org/10.1002/best.202100065
- Weidner, S.; Bechmann, R.; Sobek, W. (2022) Ressourcenminimierung im urbanen Kontext. Bautechnik 99, H. 1, S. 41–49. doi.org/10.1002/bate.202100093
Autor
Dipl.-Ing. Roland Bechmann, roland.bechmann@wernersobek.com
Werner Sobek AG, Stuttgart