Ist das ein Gebäude oder kann das weg?
Allzu schnell wird diese Frage mit kategorischem Abriss beantwortet. Warum so manches Gebäude genehmigt wurde, ist durchaus fraglich, doch angesichts der Notwendigkeit gilt es Antworten mit mehr Sensibilität, Raffinesse und Problembewusstsein zu finden. In Zeiten von Ressourcenknappheit und globaler Erwärmung kurz vorm Kipppunkt können wir uns die Frage „Kann das weg?“ einfach nicht mehr erlauben. Denkmalgeschützten Gebäuden, schönen Gründerzeitbauten wird eine weitere Daseinsberechtigung zugesprochen, aber wie sieht es bei den Nachkriegsbauten aus, die die große Masse (40 %) unseres Gebäudebestands ausmachen?
Auch ich sehe bei diesen Gebäuden erst mal günstig gebaute Wohnhäuser mit geringen Deckenhöhen, oft minderwertigem Schallschutz und v. a. im Schnitt zehnmal höheren Energieverbräuchen als bei Neubauten. „Was soll da noch saniert werden? Viel effektiver diese abzureißen und durch etwas Neues – Besseres – zu ersetzen“, so die für mich traurige, leider noch häufig anzutreffende Meinung unter Projektentwickler:innen, Eigentümer:innen und Planer:innen. Deshalb war ich begeistert, als eine junge Gruppe von Architekt:innen als Forderung Nummer 1 an alle Baubeteiligten „Hinterfragt Abriss kritisch“ ausgerufen hat.
Bei Architects for Future sind wir überzeugt, dass Bauen im Bestand unser zukünftiges Aufgabenfeld sein wird, und meinen damit nicht nur, den Abriss von Gebäuden kritisch zu hinterfragen, sondern sich gezielt dem Gebäudebestand zu widmen: umnutzen, sanieren, umbauen, weiterbauen und v. a. vorhandene Potenziale ausschöpfen, damit im Gebäudesektor der erforderliche Beitrag zur Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze erfolgt. Die Forderung „Hinterfragt Abriss“ bezieht sich dabei nicht nur auf den denkmalgeschützten Baubestand, sondern den gesamten!
Bauen im Bestand ist seit mehr als 15 Jahren mein Aufgabenfeld als Architektin und, ganz ehrlich: denkmalgeschützte Schmuckstücke waren dabei die Ausnahme – das meiste waren genau jene Nachkriegsgebäude, denen die Daseinsberechtigung oftmals abgesprochen wird. Sanierungsfähig waren sie aber allesamt!
Wir müssen nur veraltete Vorstellungen hinter uns lassen und uns dem Bauen im Bestand als vollwertige Aufgabe annehmen. Wir müssen bei dem Blick auf die Gebäude den Fokus auf die dort vorhandenen Ressourcen lenken und unser Auge für die vorhandenen Potenziale schulen. Aus dieser Perspektive betrachtet, sind Nachkriegsgebäude nicht schlechter als andere Gebäude. Vielleicht sogar besser: Die Hülle ist einfach zu dämmen und die oft einfachen Geometrien erlauben serielle Sanierungen.
Es liegt an uns, diese ungehobenen Schätze – energetisch wie auch räumlich – zu erkennen und eine neue UMbaukultur zu etablieren.
Bevor wir uns die Frage „Ist das ein Gebäude oder kann das weg?“ erlauben dürfen, sollten wir uns kritisch mit dem von uns Geplanten auseinandersetzen: Was sind die tatsächlichen Bedürfnisse und Bedarfe? Lassen sich diese Bedarfe nicht doch mit etwas Kreativität im Bestand umsetzen? Trägt das Bauvorhaben zum Klimaschutz bei und hat es einen Mehrwert für die Gemeinschaft?
Umbaukultur bedeutet nicht nur Bewahren von Identitätsstiftendem: Es geht um die Reduktion der grauen Emissionen und des Energieverbrauchs, das Überführen in neue Nutzungen, die Reduktion von Leerstand und ein Vorausdenken, damit Bauteile und Baustoffe, wenn sie nicht mehr benötigt werden, weiteren Kreisläufen zugeführt werden können.
Architects for Future Deutschland e.V.