Anzeige
Klimawandel, Biodiversitätsverlust, Rohstoffknappheit: Unser lineares, nach dem Durchflussprinzip konzipiertes Wirtschaftssystem befindet sich auf Kollisionskurs mit den Belastungsgrenzen unseres Planeten. Die globalen Treibhausgasemissionen müssen massiv und kurzfristig gesenkt werden, wollen wir das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens erreichen. Dem Bausektor kommt dabei eine besondere Verantwortung zu, verursacht er fast 40 % der weltweiten CO2-Emissionen [1]– dabei allein 8 % durch die Zementproduktion [2].
In der Diskussion um Ressourcen und Verbrauch richtet sich der Fokus immer stärker auf Gebäudezyklen, graue Energie und graue Emissionen. Während für Gebäude bereits gesetzliche Grenzwerte zur Eindämmung der Umweltauswirkungen existieren (GEG), ist die Konstruktion von Gebäuden davon noch ausgenommen. Sie ist jedoch elementar für die Ökobilanz des Gesamtgebäudes. Die Verantwortung von Planer:innen liegt zum einen darin, die Vorteile neuer Ansätze und Technologien aufzuzeigen, zum anderen in der Optimierung des Tragwerks.
Für eine nachhaltige Tragwerksplanung existieren grundsätzlich vier Ansätze:
- Reduzierung des Material-Inputs bei Neubauten
- Zirkuläre Planung von Gebäuden mit Berücksichtigung der Rückbaubarkeit
- Entwurf und Planung robuster Tragwerke
- Instandhaltung von Bestandsbauten
Diese Ansätze beeinflussen sich gegenseitig – teils auch negativ. So kann bei einem robusten Tragwerk, in dem Lastreserven berücksichtigt sind, bspw. der Material-Input nur bedingt reduziert werden. Entsprechend gibt es nicht den einen Masterplan zur nachhaltigen Gebäudeplanung. Jedes Gebäude ist einzigartig und bedarf der genauen Analyse der Planenden, um die maximale Nachhaltigkeit zu erreichen. Dabei sollte die bestehende Baukultur stets gewahrt und weiterentwickelt werden.
Schüßler-Plan beschäftigt sich derzeit im Rahmen von zwei Dissertationen intensiv mit nachhaltiger Tragwerksplanung: in Kooperation mit Professor Nöldgen, Lehrstuhl Massivbau an der TH Köln, zum Thema Urban Mining sowie mit Professor Hartz, Lehrstuhl Tragkonstruktionen der TU Dortmund, zur Ökobilanz von Deckensystemen.
Urban Mining – Wiederverwendung von Stahlbetonbauteilen
Die Umsetzung einer konsequenten Kreislaufwirtschaft bietet die Möglichkeit, die Umweltauswirkungen der Bauindustrie erheblich zu reduzieren. Auf Tragwerksebene ist es nicht damit getan, rückbaubare Konstruktionen im Sinne von Cradle to Cradle zu entwerfen, da sich aufgrund der Langlebigkeit von Tragwerken die positiven Effekte der Materialrückführung erst in 50–100 Jahren zeigen würden. Vielmehr sollte die gebaute Umwelt als Rohstofflager genutzt werden, um bereits heute auf Sekundärmaterial zurückzugreifen. Ziel der Arbeit ist es, ein Verfahren zur Wiederverwendung von bereits verbauten Stahlbetonbauteilen zu entwickeln. Gegenüber dem herkömmlichen Verwertungsverfahren von Stahlbeton, der Aufarbeitung zu Recyclingbeton, hat dies Potenzial: Während beim Recyclingbeton Zement, der für mehr als 80 % des bei der Herstellung von Beton ausgestoßenen CO2 verantwortlich ist, erneut hinzugegeben werden muss, kann dieser bei der Wiederverwendung in den Bauteilen erhalten bleiben.
Die erforderlichen Schritte für die Umsetzung des Urban-Mining-Konzepts – Bauteilzustandsbewertung, Rückbauverfahren, Aufbereitung und statischer Nachweis – werden in der Arbeit innerhalb eines Digitalen Zwillings dokumentiert und ökobilanziell bewertet. So können die gewonnenen Bauteile einer Bauteilbörse hinzugefügt und für neue Bauvorhaben nutzbar gemacht werden.
Der Einfluss von Deckensystemen auf die Ökobilanz des Gesamtgebäudes
Im Zusammenspiel mit der Kreislauffähigkeit nimmt auch die Reduzierung und Optimierung des Material-Inputs eine wichtige Rolle ein. Das größte Optimierungspotenzial steckt im Entwurf von Deckenkonstruktionen, die einen Gewichtsanteil von ca. 60 % an der Gesamtkonstruktion haben. Es lohnt sich, verschiedene Deckensysteme und Materialien miteinander zu vergleichen und hinsichtlich ihrer Ökobilanz zu bewerten.
In der Arbeit werden historische und aktuelle Deckenkonstruktionen analysiert, um Folgerungen abzuleiten, wie Deckensysteme zukünftig konzipiert sein sollten. Somit werden neben Beton-, Holz-, Stahlverbund- und Holzverbunddecken auch neue Materialien untersucht, um ein breites Spektrum über alle Bereiche zu geben, wobei auch das Konstruktionsraster und die Lagerungsbedingungen variiert werden. Vorteile bei der Ökobilanz werden Nachteilen hinsichtlich Ausführbarkeit, bauphysikalischer Eigenschaften oder Kosten gegenübergestellt. Dabei spielen die Themen der materialgerechten Verwendung und der reversiblen Ausführung eine große Rolle. Die Analyse der Deckenkonstruktionen erfolgt mithilfe der Softwareprogramme Grasshopper, Galapagos, Karamba und One Click LCA für unterschiedliche Eingangsparameter wie Materialien, Raster (in Abhängigkeit von der Gebäudenutzung) und Lasten.
Darüber hinaus wird der Einfluss der Deckensysteme auf die Ökobilanz des Gesamtgebäudes analysiert. Auch hier steht die Materialersparnis im Vordergrund. Ziel der Arbeit ist es, ein Portfolio verschiedener Deckenkonstruktionen zu entwickeln, deren Einsatz unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit zukünftig sinnvoll ist. Dabei steht übergeordnet der materialeffiziente Einsatz der Baustoffe. Als negatives Beispiel hierfür sind Betondecken zu nennen, die über die gesamte Deckenlänge monolithisch ausgeführt werden, unabhängig davon, ob sie in der Zug- oder Druckzone liegen. Als erster Schritt des materialeffizienten Einsatzes der Baustoffe sind HBV-Verbunddecken anzusehen, in denen das Holz die Zug- und der Beton die Druckkräfte aufnimmt. Diesen Ansatz gilt es, weiter zu optimieren.
Lukas Felber, lfelber@schuessler-plan.de
Marc Kaczorowski, mkaczorowski@schuessler-plan.de
Quellen
- UN environment programme (2020) 2020 Global Status Report For Buildings and Construction.
- Beyond Zero Emission (2017) Zero Carbon Industry Plan – Rethinking Cement.